neunundsechzig
Über die Hingabe an das Geben und Nehmen der Illustratorin Jana Ruprecht.
Machen wir uns nichts vor, die meisten Geschichten sind öde. Man braucht schon Geduld, um in einem Buch eine gute, und damit meine ich eine richtig gute Geschichte zu finden. Die meisten liest man, weil man denkt, das wird schon noch. Gähn. Wirds eben meist nicht! Ganz selten findet man dann aber doch einmal eine Geschichte, die einen fesselt, an der man klebenbleibt und die man am liebsten gleich noch einmal liest, welche man sofort mit der ganzen Welt teilen möchte. Und da haben wir ihn dann gefunden, einen Geschichtenerzähler, den man sich am liebsten quer übers Herz tätowieren lassen würde.
Jana Ruprecht ist solch eine gute Geschichtenerzählerin, sie benötigt dazu lediglich wie jeder andere gute Geschichtenerzähler auch ein Blatt Papier und einen Stift. Mit ihren Werken läßt sie uns meist in eine tiefe Einsamkeit eintauchen, in der wir uns wiederentdecken, von der wir uns abgestoßen fühlen, obwohl sie uns gefällt oder vor der wir Angst haben, daß sie uns verschlingen könnte. Menschen, die sie zeichnet wirken oft verloren in deren Welten, ziehen uns aber doch hinein in ihre triste Einsamkeit des morbiden Charmes.
Jana Ruprecht, eine junge Künstlerin aus Leipzig, aufgewachsen in Finsterwalde, einer klitzekleinen noch nicht ganz vergessenen »Kunstmetropole« in Brandenburg, hatte schon in ihrer Kindheit das Malen zu ihrer Lieblingsbeschäftigung erkoren.
»Zeichnen war als Kind meine absolute Lieblingsbeschäftigung, obwohl die Kindergärtnerinnen stets unzufrieden mit den von ihnen in Auftrag gegebenen Baustellenbildern waren. Ich habe als Kind eher Märchen geliebt und lieber dazu gezeichnet«, schildert sie ihre frühen Kindheitserlebnisse. »Später waren es dann vor allem die Bildgeschichten in Comics und Cartoons, die mich fasziniert haben. Meine früheste und einprägsamste Kunsterfahrung war ein Gemälde über dem Sofa meiner Urgroßeltern, auf dem ich als Kind im Sommer oft übernachtet habe. Ich konnte häufig nicht einschlafen, weil die Pendeluhr so laut getickt hat und habe mich dann in der geheimnisvollen herbstlichen Birkenlandschaft auf dem Bild verloren.«
Nun ist sie erwachsener, lebt und studiert seit 2001 in Leipzig und macht dort ihren Abschluß in Kunstpädagogik, scheint, ihren Bildern nach, dabei aber nie vergessen zu haben, daß sie einmal ein kleines Kind war. Auf die Frage was sie in ihrem Leben noch anderes macht, außer Illustrationen, antwortet sie: »Im Moment versuche ich meine Prüfungen zu bestehen, was ziemlich nervig ist. Ansonsten mache ich Sachen, die normale andere Leute auch tun. Ich versuche mir das Cello spielen beizubringen und gehe gern zu Konzerten.«
Ihre Inspiration zieht sie aus vielen Dingen, vorrangig aber aus der Musik. »Es fällt mir leichter mit Musik zu arbeiten, die mich in dem Moment auch emotional berührt. So entsteht quasi ein unmittelbarer Dialog aus Hören und grafischer Antwort. Andererseits schöpfe ich aus allen möglichen Sachen, die mir viel bedeuten: Bücher und Filme gehören da genauso dazu, wie alltägliche Details, Leute, die ich beobachte, Bilder, die mich beeindrucken, die Natur und das Wetter. Manchmal ist es eine Amsel im Gestrüpp, die Auslöser für ein Bild wird, manchmal das gestörte Verhältnis zu einem Menschen.«
Wie schon gesagt, Musik gehört zu Janas Leben, weshalb ihre Abschlußarbeit auch daraus bestand 69 Illustrationen zu den »69 Love Songs« von The Magnetic Fields zu komponieren. Daran sieht man wieder einmal mehr, daß die eine Kunst die andere beflügelt, aus Worten wird Musik, aus Musik werden Bilder, aus Bildern Geschichten, aus Geschichten wieder Musik, ein ewiges kreatives Geben und Nehmen, ohne das die Kunst wahrscheinlich keine Inspiration finden würde.
Sie nannte ihre Arbeit »69 Illovestrations«. »Die 69 Illovestrations entstanden für meine künstlerische Abschlußarbeit im Sommer 2006. Die Idee entstand aus der Liebe zu der Musik und der Faszination über das Konzept, den love song als solchen, losgelöst von einem einzigen Musikgenre, zu ehren. Ich fühlte mich mit den Texten verbunden, hörte die 69 Lovesongs damals noch ständig in meinem Walkman und sie waren wie der Soundtrack zu meinem Leben. Der Schritt zur Illustration als visuelle Interpretation war eigentlich kein großer und ein mehr oder wenig spontaner Entschluß. Auch die Umsetzung als Radierung war eine eher intuitive Entscheidung. Gedauert hat es ziemlich genau ein Jahr, bis alle Ideen standen, in die Zinkplatten gekratzt und geätzt waren und sie halbwegs gut gedruckt waren.«
Das hört sich ziemlich konsequent an, wer aber The Magnetic Fields kennt, weiß, daß auch Stephin Merritt, der Frontmann der Magnetic Fields, stark an genialer Überkonsequenz »leidet«, er nannte sein Album »69 Love Songs« und packte eben auch 69 Liebeslieber drauf, sein neuestes Werk nennt er »Distortion« (Verzerrung), und auch hier ist der Name Programm, alle Instrumente auf dieser Scheibe, außer den Drums, werden verzerrt, was dazu führt, daß sich alle Songs anhören, als spiele man eine uralte Schallplatte durch ein Telefon.
[blockquote class=“alignleft“]Im Grunde habe ich mir The Magnetic Fields längst quer übers Herz tätowiert.[/blockquote]
»Zurzeit höre ich viel Andrew Bird, Arcade Fire und Bonnie Prince Billy«, schreibt Jana zu der Frage nach ihrem Musikgeschmack. »Musik von Bands wie The Magnetic Fields, Tindersticks oder Belle & Sebastian werden mir aber nie zu rostig und hab sie immer gern in meiner Nähe.« Auf die Frage, welche Band sie sich wünschen würde, wenn nur eine einzige Band in ihrem ganzen Leben an ihre Haustür klopfen würde, um etwas von ihr gezeichnet zu bekommen, antwortet sie: »Oh, was für eine fiese Frage, wo ich mich doch eigentlich so ungern festlege. Dann würde ich mir doch noch am ehesten The Magnetic Fields wünschen. Ich liebe die Musik, die Album-Konzepte, die musikalischen Einflüsse und Texte von Stephin Merritt wahrscheinlich mehr als von anderen Bands. Im Grunde habe ich mir The Magnetic Fields längst quer übers Herz tätowiert. Anders lässt sich die Idee, 69 Love Songs zu radieren, auch nicht erklären «
Jana arbeitet hauptsächlich mit grafischen Mitteln. Sie liebt Radierungen, den Arbeitsprozeß des Gravierens, Schleifens, Polierens und Ätzens. »In der Langwierigkeit der Arbeit kann man sich fast schon obsessiv stundenlang mit ein und derselben Sache beschäftigen und wird durch bedingt beeinflußbare Faktoren wie Ätzlänge in der Säure und Drucken immer wieder überrascht (nicht immer positiv). Je nachdem arbeite ich aber auch gern mit Feder, Tusche oder Fineliner, Aquarellkasten und Collage und hin und wieder auch mit Photoshop.«
Sobald Jana eine Idee hat, fängt sie an kleine Bleistiftskizzen zu machen. Das beginnt bei ihr bei paßbildgroßen Kompositionsanlagen »bis schließlich zur Ausformulierung der Figuren von der groben Linie zum Detail. Meistens entwickelt sich bei der Arbeit auf dem Papier oder dann auf der Zinkplatte die Idee weiter und gewinnt buchstäblich an neuen Konturen.«
Ihre Lieblingskünstler sind die Ausdrucksstarken, wie zum Beispiel Egon Schiele mit seinen auf wenige Linien gebrachten Portraits, außerdem gefallen ihr die Radierungen von Horst Janssen, wie auch »Alice im Wunderland« von Arthur Rackham und »Hirsch Heinrich« von Werner Klemke. Ansonsten begeistern sie auch aktuelle Illustratoren, wie »… z.B. Tanja Szekessy. Zu den spannungsvollen, romantisch-düsteren und ambivalenten Bildern von Mark Ryden fand ich in den letzten Wochen eine innere Nähe. Seit einiger Zeit berühren mich die Grafiken eines Leipziger Künstlers, Robert Schmiedel, sehr und üben einen ungeheuer großen Einfluß auf mich aus.«
Die bisherigen Ausstellungen von Jana sind bis jetzt noch überschaubar, was sich bei der jetzigen Fülle ihrer Arbeiten demnächst ändern könnte. Ihr »populärster« Ausstellungsort war bis jetzt die Moritzbastei in Leipzig, allerdings mag sie kleinere Gruppenausstellungen wie »Morph« in Finsterwalde oder »W.I.P« in Leipzig lieber, da ihr dort die Atmosphäre besser gefällt. »Es ist schön, wenn unterschiedliche Werke in Beziehung zueinander gestellt werden und ich glaube auch, daß der Dialog zwischen Zuschauer und Bild intensiver ist, als in Cafés, Anwaltskanzleien oder Wartezimmern.«
Zu der Frage nach ihren Zukunftswünschen schreibt Jana: »Ich möchte gern im Bereich Illustration weiterarbeiten, mir vielleicht eine kleine Radierwerkstatt einrichten und irgendwie auch als Kunstpädagogin arbeiten.« Hoffen wir also, daß Jana ihre Pläne und Wünsche in die Tat umsetzen wird, um auch weiterhin solche Meisterwerke von ihr bestaunen zu dürfen.
Mario Damian
[list][li]www.jane-turpentine.com[/li][/list]