MANN FRISST MANN
Ein Interview mit Victor Castillo über Chile, Cartoons und seine Malerei
Cartoon-Figuren mit Wurstnasen sind sein Markenzeichen eine Bildsprache, die den Einstieg in seine Kunstwelt für jeden erleichtert. Seine Charaktere scheinen offensichtlich heiter und witzig, aber hinter Victor Castillos Bildern steckt weit mehr als ein reiner visueller Effekt.
Der 36-jährige Künstler wurde im südamerikanischen Santiago de Chile geboren und wuchs dort während der Militärdiktatur Augusto Pinochets auf. Seine Werke sind geprägt von den düsteren Zeiten seines Landes, von der Unterdrückung, der Zensur und der Verfolgung, aber auch vom starken Einfluß der USA und deren Kultur auf Chile in dieser Epoche.
Victor Castillo lebt und arbeitet heute in Barcelona in Spanien und in Santiago de Chile; seine Bilder hängen in Galerien in Europa und Amerika.
Als ich das erste Mal Kontakt zu Victor aufgenommen hatte, schrieb er mir E-Mails von einer abgelegenen Insel irgendwo bei Südamerika, in der Nähe von Chile.
[Bildunterschrift]Victor Castillo »Lie to me« 2008 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm[/Bildunterschrift]
Was treibst Du auf einer chilenischen Insel?
Ich nehme Abstand von allem, speziell von der Stadt. Die Möglichkeit zu haben, die Natur und die Stille zu genießen und dabei Energie zu tanken, ist perfekt. Danach kommt man mit einem klareren Kopf zurück in die Stadt. Es ist immer gut, manchmal die Perspektive zu wechseln.
Existieren in Chile eine lebendige und unabhängige Kunst und eine Untergrund-Kunst-Szene?
Neben den gängigen klassischen Avantgardisten, die sich konzeptionell mit dem politischen Kontext der Siebziger und Achtziger beschäftigen, besteht momentan Interesse an neuen Richtungen, die von gängigen internationalen Trends beeinflußt sind, nicht nur in der Kunst, auch in der Musik, im Design und in der Mode. Alles geht durch den Filter der chilenischen Eigenart mit ihren Besonderheiten. Dank des Internets ist die lokale Kunstszene nicht mehr so isoliert, wie sie es früher einmal wegen ihrer geographischen Lage war.
Wieviel Freiheit hatten Künstler in Chile innerhalb der Diktatur?
Während der Diktatur gab es überall in Chile Angst und eine rüde Zensur. Diese hallt noch immer, hauptsächlich in den konservativen Medien, nach. Während ihrer dunkelsten Periode war es wirklich gefährlich ein politisch engagierter Künstler zu sein. Mehrere Künstler wurden wegen der politischen Hinterfragung in ihrer Arbeit festgenommen, gefoltert und verbannt. Es gibt eine Anekdote die meiner Meinung nach sehr gut das Konzept der aufgezwungenen Kultur schildert: Während militärischer Razzien wurden Museen geplündert, Kunstwerke zerstört und eine Menge Bücher verbrannt, einschließlich der Bücher über Kubismus, weil das Militär dachte, sie bezögen sich auf Kuba. Es war eine buchstäblich graue Epoche.
[Bildunterschrift]Victor Castillo »Stupid Anyway« 2009 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm[/Bildunterschrift]
Hast du schon in deinem Heimatland Chile ausgestellt?
Ja, sehr oft. Ich hab auch schon ein paar Preise gewonnen. In der Presse wurde auch des öfteren über mich berichtet. Aber erst seitdem ich bedeutende Ausstellungen in großen Museen hier in Chile habe.
Wann und warum kamst Du nach Spanien?
Im November 2004 wurde ich zum internationalen Festival zeitgenössischer Kunst im »Contemporary Culture Centre« in Barcelona eingeladen. Der Zuspruch war überwältigend.
Gibt es für dich unterschiedliche Einflüsse auf den zwei Kontinenten, auf denen Du arbeitest und lassen sich dabei visuelle Unterschiede in deinen Bildern feststellen?
Selbst wenn die Hauptbezugsquelle meiner Einflüsse das Internet und andere Massenmedien sind, liefert jeder Ort sei es Chile, Spanien oder sonst wo verschiedene visuelle, politische und emotionale Inspirationen, die direkten Einfluß auf meine Arbeit haben.
[Bildunterschrift]Victor Castillo »Chick Habit« 2007 · Acryl auf Leinwand · 50 cm x 50 cm[/Bildunterschrift]
Was machst Du neben dem Malen und dem Kunstschaffen?
Das künstlerische Schaffen nimmt all meine Zeit in Anspruch. Eigentlich bräuchte ich viel mehr Zeit, um all das zu tun, was ich tun muß und tun will, zum Beispiel um an Skulpturen, Animationen, Musik oder Comicprojekten zu arbeiten.
Also ist Kunst Dein Hauptberuf.
Es ist ein Vollzeit-Job. Kunst und Leben sind ein und dasselbe für mich entdecken, koordinieren, verbinden, kreieren und produzieren. Es gibt keinen bestimmten Zeitplan für die Arbeit. Wenn ich nicht im Atelier bei der Arbeit bin, arbeitet mein Verstand trotzdem weiter, weil irgendetwas um mich herum inspirierend sein könnte.
Welche Ausbildungen hast Du genossen?
Ich bekam eine herkömmliche Grundausbildung, so sehr zensiert und manipuliert, wie ein öffentliches Schulwesen innerhalb einer Diktatur nur möglich sein kann. Danach war ich ein enttäuschter Student an der Kunstakademie. Ich betrachte mich als einen gut informierten selbsterlernten Künstler.
[Bildunterschrift]Victor Castillo »Moonshadow« · 2009 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm[/Bildunterschrift]
Wann warst Du auf der Kunstakademie?
Seit 1990 ging ich durch unterschiedliche Kunstschulen. Ich verließ sie alle enttäuscht, bis es damit endete, daß ich die schlimmste von allen besuchte: Die Katholische Schule der Künste. Die Unverträglichkeit war so groß, daß ich schließlich von dort verwiesen wurde. Du kannst dir vorstellen wie das ist, Kunst an einem Ort zu studieren, an dem du nicht über Sex, Religion oder Politik sprechen kannst. Das macht überhaupt keinen Sinn.
Deine Bilder nehmen einen starken Bezug auf das 18. und 19. Jahrhundert, hinsichtlich alter viktorianischer Photographien und der düsteren Atmosphäre später Gemälde von Francisco de Goya. Was verbindet dich mit diesen alten Zeiten?
Viktorianische Ästhetik, die manchmal so romantisch sein kann und ein anderes Mal mit ihrer Pracht so arrogant wirkt, mit ihrer Eleganz und ihrer Würde, erinnert mich an den imperialen Stolz, der heute in verschiedenen symbolischen Formen der Machtdemonstration sehr präsent ist. Auf der anderen Seite bin ich von Goya fasziniert, weil diese düstere Atmosphäre in einer so guten Art und Weise die Natur der menschlichen Leidenschaften darstellt. Das Verbinden von Goya und viktorianischer Ästhetik ist eine der visuellen Strategien mit denen ich mich, wie in einer Art Metapher, an Themen wie die Stetigkeit der faktischen Mächte (Die tatsächlichen Machtinhaber wie Armee, Bankwesen oder Medien. Anm. der Redaktion) annähere.
[Bildunterschrift]Victor Castillo »Supplica a Mia Madre« · 2007 · Acryl auf Papier · 44 cm x 33 cm[/Bildunterschrift]
Warum benutzt du die visuelle Sprache des klassischen amerikanischen Cartoons?
Ich wuchs in einem Land und in einer Zeit auf, wo visuelle und kulturelle Einflüsse sehr begrenzt waren. Das Fernsehen mit seinem belehrenden Monopol zeigte meist Serien und TV-Programme aus den USA. Wie jedes Kind wuchs ich fasziniert von Walt Disney, Merry Melodies, Looney Tunes und einer ganzen Reihe klassischer Zeichentrickfilme auf. Wie könnte ich den politischen Einfluß dieser Figuren außer Acht lassen, die solch ein wichtiger Teil meines Lebens und meines Landes waren? Heutzutage haben diese Charaktere einen gemeinsamen Platz, einen idealen Raum, um Identifikation mit dem gewöhnlichen Zuschauer zu schaffen und ihn zum Nachdenken anregen.
Mit welcher Absicht malst du Cartoon-Figuren und Würstchen?
Ich bin davon überzeugt, daß es in meinem Fall effektiver und amüsanter ist, menschliche Leidenschaften durch Karikatur und Humor darzustellen.
Was ist die Aussage Deiner Kunst?
In wenigen Worten: »Mann frisst Mann«. Wir haben uns nicht sehr verändert seit den Zeiten, als Menschen in Höhlen lebten. Wir benehmen uns wie Wilde. In meiner Arbeit versuche ich eine Art tragikomisches Porträt der heutigen Gesellschaft zu schaffen, mit dem ich ihr trotz des dunklen Humors, zutiefst mißtraue. Die Welt ist ein Dschungel. [Artikelende][/Artikelende]
Danny Winkler
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