Posterland

Die polnische Schule der Plakatkunst

Was ist schon ein gutes Plakat? Da scheiden sich die Geister. Die einen mögen es schön dekorativ, manche mit Witz oder intelligenten Hintergedanken und dann gibt’s noch so manchen Firmenchef, der kann die Qualität seiner Plakate nur an seinen Umsatzzahlen erkennen.

Stasys Eidrigevicius Plakat zum Theaterstück »Onkel Wania« 1989

 

Eigentlich läßt sich aber feststellen, daß ein Plakat dann gut ist, wenn es seine Wirkdauer überleben kann, wenn das Datum der beworbenen Veranstaltung längst vorüber ist oder es durch eine neue Werbekampagne ersetzt wurde. Erst wenn es nicht mehr in den Straßen hängt, sondern seinen Platz an Küchen- und Wohnzimmertapeten bekommt, in Sammlerschubladen verschwindet oder sogar den Weg ins Museum findet, dann kann man wohl ganz diplomatisch von einem guten Plakat sprechen. In Polen gibt es besonders viele dieser guten, museumswürdigen Plakate.

 

VON DER KUNST ZUM DESIGN UND ZURÜCK ZUR KUNST

Nicht jeder weiß es, aber unser Nachbarland im Osten ist ein Land, das für seine Plakate weltberühmt und hoch angesehen ist. Man spricht hochachtungsvoll von der polnischen Schule der Plakatkunst. Diese Schule proklamiert keinen festen Stil oder orientiert sich an einem Manifest. Diese Schule nutzt das Plakat als künstlerische Ausdrucksform.

In Polen ist das Plakat Kunst! Warum aber ist gerade in Polen das Plakat so sehr angesehen und warum entwickelte es sich gerade dort zu einer Kunstform? Allgemein wird das Plakat als Vermittler und Werbeträger nicht der Kunst zugeschrieben. In den Designschulen vieler Länder wird es als Designprodukt behandelt, das seine festgelegten Funktionen hat und sie auch erfüllen soll.

Wieslaw Walkuski »Idioci« (1999)

Da Kunst in der Regel den Anspruch hat, keinen bestimmten praktischen Nutzen zu erfüllen und Design nun mal funktionell sein sollte, wird der Ausdruck »Plakatkunst« eigentlich zu einem in sich widersprüchlichen Begriff. Dabei begann alles so schön künstlerisch.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich mit der Erfindung der Farblithographie das Bildplakat zu einer Spielwiese künstlerischen Ausdrucks. Es waren vornehmlich die Künstler der Avantgarde, die dem Plakat Kunst injizierten – allen voran die Pioniere der französischen Plakatkunst Jules Chéret, Henri de Toulouse-Lautrec, Pierre Bonnard und der Tscheche Alfons Mucha.

Franciszek Starowieyski »Marriage« 1961

Geübt durch ihr Leben als Künstler, Maler und Grafiker wußten diese Leute von verschiedenen Farb- und Formenwirkungen. Sie wußten wie man sich auf einem zweidimensionalen Grund emotional wie auch rational ausdrücken kann. Das intensive Naturempfinden, das ein guter Künstler hat, ließ sich nun auch auf eine lebendige Stadtkultur anwenden. Das waren genau die Voraussetzungen, um für Kulturveranstaltungen wie Theater, Operette, Konzerte und Kabarett zu werben.

Erst mit dem steigenden Einsatz in der Industrie und auf kommerziellem Gebiet verlor das Plakat seine künstlerische Note und verkam langsam zum Packesel kapitalistischer Interessen. Das Plakat sollte hauptsächlich Produkte verkaufen. Anstatt künstlerische Vorbildung waren dabei nun andere Voraussetzungen gefragt – marktorientierte Psychologie zum Beispiel.

Jan Sawka Plakat zum Jazzfestival »Jazz nad Odra« 1978

Diese Entwicklung fand nach dem zweiten Weltkrieg vorwiegend in den kapitalistischen Ländern statt. In Polen dagegen, wo man einen kommunistischen Weg eingeschlagen hatte, war das Interesse an verkaufsfördernden Maßnahmen nicht sonderlich hoch. Die polnische Obrigkeit erkannte schnell die Macht der Plakate auf das Volk und begann dieses Genre zu fördern. Natürlich nicht ohne eigenen Nutzen aus der Sache zu schlagen, denn in den Jahren nach dem Krieg gebrauchten die Polen das Plakat zum Großteil noch für ihre politische Propaganda.

Später, in den fünfziger Jahren, knüpften polnische Maler und Grafiker wieder dort an, wo die frühen Franzosen aufhörten. Sie begannen wieder verstärkt Kunstplakate für kulturelle Veranstaltungen zu gestalten. »Kunst wirbt für Kunst«, war die Devise.


UNTER DEM SCHUTZ DER KOMMUNISTEN

Auch in anderen Ländern gab und gibt es Künstler, die ähnliche Ansprüche an die Plakatgestaltung stellten wie die Polen; allerdings blieben es dort weitestgehend Einzelfälle.

Wieslaw Walkuski Ausstellungsplakat 2002

In Polen wurde das Plakat auf nationaler Ebene gefördert und hatte somit die Chance, sich über viele Jahre ungestört entwickeln zu können. Diese künstlerische Freiheit unter dem Schutz der Kommunisten ließ die Plakatkunst in Polen aufblühen. Seit Jahrzehnten wird daher in Polen das Gestalten von Plakaten in den Kunsthochschulen gelehrt. Ein feiner, aber gravierender Unterschied zu anderen Ländern, wo die Plakatgestaltung meist im Zuständigkeitsbereich der Designschulen liegt.

Das polnische Plakat entwickelte sich in seiner Blütezeit – in den fünfziger und sechziger Jahren – zu einer eigenständigen Kunstform und avancierte zu einer Art Nationalkunst. Jeder in Polen hat durch die Plakate auf den Straßen Zugang zur Bildenden Kunst bekommen können, was der Popularität des Plakates nur dienlich sein konnte. Der reiche Schatz in Polens Kunstlandschaft hielt sich aber keineswegs in den nationalen Grenzen. Der internationale Ruf des polnischen Plakates war und ist beispielhaft.

Franciszek Starowieyski Plakat zu Dürrenmatts »Frank der Fünfte« 1962

Polnische Plakate gewannen Preise bei Ausstellungen und auf den einschlägigen Poster-Biennalen in aller Welt. Polnische Künstler arbeiteten in Paris oder unterrichteten in Mexiko. 1966 fand zum ersten Mal die Warschauer Poster-Biennale statt und zwei Jahre später eröffnete ebenda das erste Plakatmuseum der Welt. Polen wurden zum Posterland.

DER PLAKATPIONIER POLENS

Einer der Künstler, der den Weg der polnischen Schule der Plakatkunst geebnet hat, war Henryk Tomaszewski.

Der Salon der Plakate ist die Straße

Der Illustrator und studierte Maler bekam Ende der vierziger Jahre den Auftrag, Plakate für die Filmvertriebsgesellschaft »Film Polski« zu gestalten.

Henryk Tomaszewski »Ladies & Hussars« 1977

Seine Werke waren keine gewöhnlichen Filmplakate. Er verzichtete darauf, lediglich Filmausschnitte und die Hauptdarsteller in heldenhaften Posen abzubilden. Tomaszewski ging sehr unkonventionell und künstlerisch an die Sache. Er transformierte die Geschichten und Assoziationen, die der Film mitbrachte, in seine eigene, teils verschlüsselte Bildsprache. Er konzentrierte die Essenz der Film- und Theatergeschichten in klare Formen und in flächige Farben.

Einen sehr wichtigen Teil nimmt in Tomaszewskis Plakaten die Typographie ein – die Schriftgestaltung. Er sah davon ab, den Filmtitel in möglichst plakativen Buchstaben in Szene zu setzten. Vielmehr benutzte er die Schrift als eigenständiges Grafikelement, das sich dem Ganzen unterzuordnen hat.

Schon allein diese subtile Herangehensweise, die Tomaszewski pflegte, beschreibt prinzipiell die Grundpfeiler der polnischen Plakatkunst. Intelligente Gedanken und Hintergedanken, unkonventionelle Sichtweisen und das Erkennen einer der Sache innewohnenden Substanz sind neben der Persönlichkeit des Künstlers die Dinge, die das polnische Plakat zu dem gemacht haben, was es ist.

Stasys Eidrigevicius Plakat zum 100. Todestag von Vincent van Gogh 1990

Tomaszewskis Einfluß auf die polnische Plakatkunst war enorm. Als Professor für Plakatgestaltung an der Warschauer Kunstakademie von 1952 bis 1985 förderte er die künstlerische Eigenständigkeit der Grafikstudenten. Die Plakatlandschaft Polens wurde mit diesen neuen Geistern reicher. Die Ernsthaftigkeit und die lakonische Bildsprache in der Plakatgestaltung, die sich in den fünfziger Jahren weiter herausbilden konnte, waren ein großer Gewinn für die Kunst des Landes.


EINFLÜSSE & STIL

Auch hinter dem eisernen Vorhang blieben der kulturoffenen Nation Polens die Entwicklungen in der Kunst nicht verwehrt. Der Kubismus und der Expressionismus hinterließen dabei genauso ihre Spuren wie auch der Surrealismus und die damals in den Fünfzigern moderne Abstrakte Kunst.

Franciszek Starowieyski »A Year of the Quiet Sun« (1984)

All diese Stilrichtungen verankerten sich in der polnischen Kunstszene und vor allem waren sie der Plakatkunst dienlich. Die Abstraktion eignete sich hervorragend für den formalen Gehalt eines Plakates.

Um Empfindungen und persönliche Auffassungen eines Theaterstücks oder einer Oper geschmackvoll wiederzugeben, griffen einige Künstler surreale Elemente auf. Das Kunstplakat Polens sprach vornehmlich mit seinem Bild und der darin verstrickten Symbolik durch die individuelle Persönlichkeit des Künstlers.

Mieczyslaw Górowski »Policja« (1982)

Die Schrift, die im kommerziellen Werbeplakat so wichtig geworden war, nahm teilweise eine untergeordnete Stellung ein. Oft diente sie nur der ornamentalen Vervollständigung der eigentlichen Bildwelt, um sie gestalterisch zu unterstreichen. Viele polnische Plakatkünstler verwendeten dazu ihre eigene Handschrift und Kalligraphie oder malten das gesamte Plakat am Stück mitsamt seiner Schrift. Das gab der Gestaltung buchstäblich die handschriftliche Note des Künstlers.

JAN LENICA

Neben Henryk Tomaszewski gab es weitere Künstler, denen man großen Pioniergeist in den glorreichen Zeiten des polnischen Plakates zuschreibt.

Das Plakat soll singen …

Sebastian Kubica »Jazz Posters« (2006)

Einer von ihnen ist Jan Lenica, einer der berühmtesten Plakatkünstler Polens. Der studierte Architekt war nicht nur ein hervorragender Grafiker, er betätigte sich auch erfolgreich auf dem Gebiet des Animationsfilms, zeichnete satirische Illustrationen für Zeitschriften und war Kunstkritiker.

Er sagte einmal: »Das Wesen des Plakates ist Abwehr und Angriff zugleich: Abwehr vor der Umgebung, gegen andere Plakate, gegen die Straßenarchitektur, und gleichzeitig der Angriff auf den Passanten. Die Methoden des Angriffs können verschieden sein: Eine der wirksamsten ist, wie ich es auffasse, der Angriff durch Überraschung.«

Franciszek Starowieyski »Twarza w twarz« (1973)

Lenica schlug in seinen Plakaten oft poetische und lyrische Töne an. Seine Gestaltungen sind wie Bildgedichte und melodiöse Lieder. »Das Plakat soll singen …«, sagte er einmal. Lenica verwendete wie Tomaszewski sehr einfache Formen, die in ihrer Schlichtheit alles vereinten was wichtig war für die Wirkung des Plakates, für den Angriff und die Abwehr und die Überraschung.


DIE ANDEREN

In den sechziger Jahren gab es in Polen viele ausgereifte und gute Plakatkünstler. Einer von ihnen dominierte das Straßenbild Polens mit seinen Werken in dieser Zeit wie kaum ein anderer: Roman Cieslewicz.

Stasys Eidrigevicius (2002)

Er war ein Meister des Experiments in der Formengestaltung. Gerade in den Sechzigern stürzte er sich auf ein Feld, das nicht mehr die traditionellen Werkzeuge wie Pinsel und Farbpalette benötigte. Cieslewicz beschäftigte sich hauptsächlich mit Collagetechniken und arbeitete mit der Fotografie. Seine durchaus revolutionären Ansätze brachten weitere neue Impulse in die Plakatkunst Polens und prägten sie über Jahre.

Weitere neue Injektionen brachte Franciszek Starowieyski. Bereits in den sechziger Jahren malte er märchenhaft-surrealistische Plakate – ein Stil der heute typisch ist für das polnische Plakat. Starowieyskis Plakate sind anders als die Arbeiten von Lenica, Tomaszewski oder Cieslewicz, wurden aber doch mit dem selben Feingefühl und dem polnischen Gespür für die Substanz des beworbenen Werks gemacht.

Stasys Eidrigevicius »Zamek« (1987)

Die düsteren Farben, die rätselhaften Welten und die Mehrdeutigkeiten der altmeisterlich gemalten Plakate eröffneten den Plakatkünstlern großartige Möglichkeiten für schwere Dramen und Tragödien in Theater, Film und Oper. In den Siebzigern und Achtzigern reifte diese Stilrichtung und brachte viele interessante Blüten hervor. Stasys Eidrigevicius, Mieczyslaw Górowski oder Wieslaw Walkuski sind auch heute noch beliebte und gefragte Leute der alten polnischen Schule der Plakatkunst.

DAS POLNISCHE PLAKAT HEUTE

Viele Künstler und Freunde der traditionsreichen Plakatkultur Polens sehen die Entwicklung dieser Kunstrichtung ab den neunziger Jahren mit eher gemischten Gefühlen. Seitdem sich Polen ab 1989 einem anderen politischen System zuwandte, hielt auch der Kapitalismus wieder Einzug im Land.

Joanna Górska & Jerzy Skakun »Kret« (2008)

Der marktwirtschaftliche Wettbewerb brachte unzählige konsumorientierte Plakate und Plakatwände ins Stadtbild. Das anspruchsvolle Kunstplakat wurde zunehmend von den Straßen verdrängt und fand seinen Platz in Nischen intellektueller Kreise, in Theatern und Ausstellungsräumen.

Dazu kam die Verbreitung des Personalcomputers. Der alteingesessene Plakatkünstler Waldemar Swierzy sagte dazu vor ein paar Jahren in einem Interview: »Heute ist jeder PC-Besitzer überzeugt, daß er damit alles machen kann, zum Beispiel grafische Zeichen, Logos, Reklame und Plakate. Aber das sind wertlose Produkte, die nichts in einem bewegen, wenn man sie anschaut. Es gibt alte Plakate, an die man sich heute noch erinnert, so suggestiv waren sie. Aus der heutigen visuellen Werbung merken wir uns fast nichts.«

 Stanislaw Miedza-Tomaszewski »Cyrk« (1974)

Die Seele des polnischen Plakates wird heutzutage von weitaus weniger Künstlern und Galerien gepflegt. Auch in Polen überwiegt inzwischen das reine Konzeptplakat und unterscheidet sich nur noch selten vom Kommunikationsdesign anderer Länder. Wurden früher für importierte Filme noch extra für den polnischen Markt wunderschöne und kreative Kunstplakate angefertigt, so finden heute wie überall die gleichen Filmplakate Verwendung, die nach ein und demselben Schema aufgebaut sind.

Die technischen Möglichkeiten, Photographie und Schrift kinderleicht zu einem Plakat zusammenzustellen, sind heute weit verbreitet. Selbst wenn Amateure, Werbegrafiker oder Hobbydesigner die gestaltungstechnischen Grundlagen beherrschen, wird ihnen immer das fehlen, was die Besonderheit des polnischen Kunstplakates ausmacht – der künstlerische Blick und die Gabe, Seele in ein Plakat zu bringen.

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von contemporaryposters.com, des Wilanów Postermuseums in Warschau und der Künstler.

Interview mit Wieslaw Walkuski

Wilanów Poster Museum

www.contemporaryposters.com

Hubert Hilscher Zirkusplakat 1964