Guerilla Stricken

Urban Knitting ist die sanfte Masche der Graffiti-Kunst

In den Städten tobt der Kampf gegen die Kälte des Betons. Illegale, wärmebringende Strickwaren verbreiten sich unaufhaltsam im Stadtgebiet. Die Zeiten, in denen das Stricken als beliebte Freizeitbeschäftigung den Großmüttern und Urgroßmüttern vorbehalten war, sind ein für alle mal vorbei.

Jetzt klappert die Subkultur mit der Stricknadel aus dem Untergrund. Stricken avanciert zur revolutionären Gegenkultur. In Houston/Texas, im Süden der Vereinigten Staaten, sitzt die Boutique-Besitzerin Magda Sayeg in ihrem Laden und strickt.

Magda Sayeg, die Begründerin des Urban Knittings und Chefin des Knitta Please Kollektivs mißt ihre Strickzeiten in Filmlängen: »Ein gemütliches Stoppschild braucht ungefähr einen Film«, sagt sie.
Magda Sayeg, die Begründerin des Urban Knittings und Chefin des Knitta Please Kollektivs mißt ihre Strickzeiten in Filmlängen: »Ein gemütliches Stoppschild braucht ungefähr einen Film«, sagt sie.

Diesmal strickt sie keinen Pullover, keine Socken und auch keinen Schal. Masche für Masche entsteht aus den blauen und rosa Wollknäueln ein kleiner dünner Schlauch. Magda möchte den stahlgrauen Griff ihrer Ladentür zum Leben erwecken – sie strickt ihm einen wollenen Wärmer.

Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.
Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.

Das bringt sie auf eine Idee. In ihrem Stadtviertel scheint ihr alles ziemlich tot – Beton, Stahl, Glas. Grau und vor allem kalt ist es dort. Magda beginnt den Dingen auch außerhalb ihres Ladengeschäfts kleine wohlig-warme Anziehsachen zu stricken: Stop-Schildern, Straßenlaternen, Steinbrocken.

Das Urban Knitting – urbanes Stricken – ist geboren.

»Ich wollte, daß die Welt lebendiger aussieht, belebter.« erklärt Magda. Die heute 35-Jährige führt nicht nur die Boutique »Raye« im zentralen Stadtteil Neartown/Montrose in Houston, sondern im Prinzip auch ein ganz normales Leben.

Sie hat Familie und ein Diplom in Mathematik und sie mag die Musik von Johnny Cash. Trotzdem begibt sie sich auf die schiefe Bahn, auf ein illegales Terrain, denn sie gestaltet mit ihrer Strickerei den öffentlichen Raum ohne jegliche Genehmigung. »Aber du mußt schon ein ziemlich gelangweilter Cop sein, um mich festzunehmen«, relativiert sie ihre kriminelle Energie.

Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.
Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.

Ihr Gestricktes stößt fast durchweg auf Wohlwollen und lächelnde Menschen. Lediglich Ratlosigkeit steht so manchem Passanten ins Gesicht geschrieben. »Sie verstehen meine Überlegung nicht. Wenn ich meine Idee, Wärme in die Welt zu bringen, erkläre, scheinen sie aber fasziniert und angenehm überrascht zu sein.«

Die direkten Reaktionen bekommt die adrette Revoluzzerin nur selten mit. Wie fast alle ihrer Streetart- und Graffiti-Kollegen, agiert auch sie verdeckt aus dem Untergrund. Magda sieht ihr Eingreifen in den Stadtraum mit der Graffiti-Kunst eng verwandt, denn auch ihre Strickereien verändern öffentliche Räume. »Meine Kunst wirkt mit unserer alltäglichen Umgebung zusammen und ist denen zugänglich, die von einer Kunstwelt die sich nur Akademikern und Kuratoren erschließt, ausgeschlossen sind«, erklärt sie.

Autoantennen, Verkehrsschilder und Statuen mit leuchtend-bunten Socken und Pullovern sind neu im Stadtbild. Die Absichten, die Magda Sayeg dahin treiben, diese Sachen zu stricken und auszusetzen sind von recht edler Natur. Der augenscheinlichste Grund ist sicher der Witz an der Sache.

Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.
Mit einem Türgriff an der Ladentür ihrer Boutique fing alles an. Seitdem hinterließ Magda Strickzeichen nicht nur in ihrer Heimatstadt Houston, sondern zum Beispiel auch in Paris und an der großen Mauer in China.

»Definitiv gibt es eine humorvolle Absicht, Strickereien in den Straßen anzubringen, wo sie nie hingehörten und wo sie jetzt mit dem maskulinen Ausdruck der Spray-Dosen und Straßenkultur konkurrieren«, sagt sie. Aber sie sieht auch eine starke politische Relevanz in ihrer Arbeit, indem sie auf all den Zement und den Stahl in unserem städtischen Lebensraum verweist und damit zeigen möchte, was in unserer Welt fehlt, nämlich Wärme.

Für Magda ist es wichtig, den Menschen klarzumachen wo sie leben, ihnen die Augen zu öffnen und zu zeigen, was um sie herum passiert und »um vom Stoppschild oder dem Feuerhydranten zu wissen, an denen sie jeden Tag vorüber gehen«, wie sie es trefflich formuliert.

Magda ist aber keineswegs die Einzelkämpferin mit der Stricknadel im Großstadtdschungel. Schon zu Beginn gab es Mitstreiter an ihrer Seite. Mit denen gründete sie das Knitta Please Kollektiv.

NY Soho

Anfangs versuchte sie ihre Idee erst einmal einer Freundin, die ebenfalls strickte, zu erklären. »Sie verstand es erst nicht«, sagt Magda, aber diese Freundin gab ihr eine unfertige Babydecke und schloß sich ihr an. »Wir nahmen diese halbfertigen, frustrierenden Strick-Bündel und verwandelten sie in öffentliche Installationen.«

Ihr Projekt explodierte dann relativ schnell und es kamen Leute, die sie fragten ob sie in ihrer Strickgruppe mitwirken könnten. Seitdem wuchs das Knitta Please Kollektiv zu einer stattlichen Armee wärmebringender Stricksoldaten heran; alles Frauen und Männer im Alter zwischen 25 und 75 Jahren.

Jeder von ihnen handelt aber meist eigenständig. Das Kollektiv hat inzwischen auch andere Stricker dazu inspiriert, ihre eigenen Crews zu gründen. »Das ist Teil meiner Mission, anderen zu helfen, ihre eigenen Gruppen aufzubauen und eventuell für ein gemeinsames Projekt zusammenzubringen«, erklärt Magda.

Inzwischen sind strickbegeisterte Mitmenschen weltweit der Idee des Urban Knitting gefolgt und wickeln die Metropolen auf allen Kontinenten in Stricksachen ein.

Da gibt es zum Beispiel die Gruppe »Knit Sea« in Finnland oder »Masquerade« in Schweden. Das »International Fiber Collaborative« zum Beispiel strickte einmal eine ganze Tankstelle inklusive der Tanksäulen ein und einen Baum mitsamt seiner Blätter.

Magda selbst hat bereits fast über die komplette Erdkugel ihre Maschen verteilt. Sie strickte an der großen chinesischen Mauer, in vielen Städten der USA, in Frankreich, Deutschland, Schweden, den Niederlanden, Australien und Mexiko.

Hin und wieder realisiert sie dort selbst offizielle Großprojekte. Eines ihrer außergewöhnlichsten Projekte war ein gewöhnlicher Stadtbus, den sie in Mexico City von oben bis unten einstrickte. Bei den großen Flächen eines solchen Gefährts scheute sie auch den Einsatz von Strickmaschinen nicht. Im Inneren des auf dem Plaza Luis Cabrera geparkten Busses wurden dann Strickworkshops abgehalten.

Wenn Magda Sayeg die Stricknadeln beiseitelegt und zur Strickmaschine greift, muß es schon um etwas so großes wie einen Bus gehen.
Wenn Magda Sayeg die Stricknadeln beiseitelegt und zur Strickmaschine greift, muß es schon um etwas so großes wie einen Bus gehen.

Wolle unter freiem Himmel bleibt stets eine temporäre Angelegenheit. Wenn die gestrickten tags nicht gerade von Passanten abgenommen werden um sie bei eBay zu versteigern, verblassen sie mit der Zeit an Ort und Stelle.

»Was ich an meinen Teilen mag, ist, daß sie am Anfang leuchtend, wirken sich aber mit der Zeit dem anpassen, um das sie gewickelt wurden. Das Garn absorbiert den Ruß und die Verschmutzung und nimmt den Charakter an, den es umgibt«, sagt Magda.

Die Stadt, die sich selbst schluckt. Das ewige Nebeneinander von Anonymität, Dreck, Bewegungen und solchen bunten Gegenbewegungen wie das Urban Knitting ist vielleicht genau das, was eine Stadt zu einer pulsierenden Stadt werden läßt.

Der Guerilla-Kampf mit Wollgarn und Stricknadel ist zwar sanft, wirkt aber umso tiefer im Gemüt des trottenden Stadtbewohners: »Als ich den Bus in Mexiko einhüllte lächelten die meisten Menschen und sie schienen meine Motivation alltägliche Objekte in der Öffentlichkeit zu dekorieren zu verstehen.« 

www.magdasayeg.com

Blog von Magda Sayeg