Das Kunstdiplom

Kunstdiplom 2010

Ein Einblick in die Vorbeitungen

Kein Hochschulstudium ist so frei wie ein Studium der Bildenden Kunst. Lehrpläne gibt es hier kaum. Der Kunststudent muss sich selbst beauftragen. Was dabei nach fünf Jahren Selbststudium herauskommt, zeigt in jedem Jahr die große Diplomausstellung. Auch in Dresdens Hochschule für Bildende Künste ist das nie anders – Ein Einblick in die Vorbeitungen zum Kunstdiplom 2010.

Es ist ein später Nachmittag im März. Die meisten Diplomanden des Studiengangs Bildende Kunst der Hochschule für Bildende Künste, kurz HfBK, Dresden treffen sich im Aktsaal des Gebäudes für die Maler und Zeichner. Zum ersten Mal in diesem Jahr soll es um die Organisation der großen Dipolmausstellung im Juli gehen.

Juliane bereitet ihre Performance für die Diplomausstellung vor. 15?000 Bögen Papier gilt es dann Blatt für Blatt umzustapeln.[Bildunterschrift]Juliane bereitet ihre Performance für die Diplomausstellung vor. 15000 Bögen Papier gilt es dann Blatt für Blatt umzustapeln.[/Bildunterschrift]

Zwischen den Diplomanden und der Frau von der Öffentlichkeitsarbeit sitzt ein ganz neues Gesicht in der Riege der HfBK-Mitarbeiter. Die Frau ist klein, jung, dunkelhaarig und trägt eine große schwarzgerahmte Brille. Sie wirkt fast selbst wie eine Studentin. Die Frau von der Öffentlichkeitsarbeit stellt die dunkelhaarige Frau vor. Es ist die neue Kuratorin der Hochschule, die erstmals die Diplomausstellung der HfBK kuratieren wird.

Die Kuratorin erzählt kurz über ihren Lebenslauf und spricht dabei oft von ihren Erfahrungen mit den neuen Medien. Sie sagt, ihr wäre aufgefallen, dass es hier an der HfBK etwas anders zuginge als an anderen Kunstbildungsstätten. Was sie damit meint, ist vielen klar.

In Dresden wird noch gemalt und handwerklich gearbeitet. Bei der Kuratorin schwingt eine leichte Verachtung gegenüber der traditionellen Kunstproduktion mit, wenn sie begeistert über Konzepte und die neuen Medien spricht.

JULIANE SCHMIDT Performance
[Bildunterschrift]JULIANE SCHMIDT Performance[/Bildunterschrift]

Der zweite Punkt, der die Diplomanden heute hier zusammengebracht hat, ist die Frage ob es auch in diesem Jahr wieder einen ausstellungsbegleitenden Katalog geben soll. Die Organisation, Finanzierung und Realisierung ist in Dresden Sache der Diplomanden. Jedes Jahr wird also die Frage neu gestellt. In den letzten Jahren ist es allerdings immer zu einer Katalogveröffentlichung gekommen. Einige Studenten wollen sich aber nicht so recht der Konstante Kunstkatalog beugen und werfen Gegenvorschläge in den Raum. Dieses Hinterfragen, Reflektieren und Analysieren von gegebenen Strukturen ist den Studenten der HfBK eigen. Das sind die Methoden die sie während eines Kunststudiums vermittelt bekommen haben.

Einem Studenten in der Runde zum Beispiel scheint der finanzielle und organisatorische Aufwand einer Katalogproduktion zu groß. Er schlägt stattdessen eine kostenlose ausstellungsbegleitende Zeitung vor oder einen Pappschuber mit Portfolioheften von jedem einzelnen Studenten. Im Raum hört man vereinzeltes leises Stöhnen, aber auch Zustimmung. Zu einer Einigung kommt es an diesem Abend jedoch nicht.

DIPLOMANDEN UND KURATORIN beim Ausstellungsaufbau
[Bildunterschrift]DIPLOMANDEN UND KURATORIN beim Ausstellungsaufbau[/Bildunterschrift]

Sechs Studenten melden sich aber schon einmal für das Organisationsteam, für das, was auch immer am Ende publiziert werden soll. Der Kanon innerhalb des Organisationsteams ist anschließend fast einstimmig: ein Katalog muss her, alles andere wäre unsinnig. Ein Pappschuber mit vierzig Einzelheften wäre tatsächlich unbezahlbar, eine kostenlose Zeitung nicht nachhaltig genug. Die Argumente sind klar und müssen nun den restlichen Diplomanden nahegelegt werden.

Das Organisationsteam beschließt ein paar Tage später, dass es ab jetzt das Organisationsteam eines Katalogbuches sei. Würde mehrheitlich anderes gewünscht, sollten andere die Organisation übernehmen, legen die Studenten trotzig fest. Letztendlich können fast alle Diplomanden für das Katalogprojekt überzeugt werden, bis auf Ausnahme einer Studentin.

Dem sechsköpfigen Organisationsteam steht in den folgenden Monaten harte Arbeit bevor. Sie müssen nicht nur an ihrem eigenen Diplom arbeiten, sondern sich darum kümmern, dass Sponsoren, Stiftungen und Werbeanzeigenkunden die mehreren tausend Euro Produktionskosten des Katalogs bezahlen. Sie müssen den finanziellen und inhaltlichen Eigenanteil eines jeden Diplomanden eintreiben, und sie müssen einen guten Grafiker finden der das Buch gestaltet.Über den Grafiker sind sich beim Folgetreffen fast alle einig: Der hauseigene Dozent für Dokumentation, Präsentation und Publikation soll den Job machen.

MICHIKO NAKATANI Ihre Arbeiten Image Existing There bei der Ausstellungseröffnung
[Bildunterschrift]MICHIKO NAKATANI Ihre Arbeiten Image Existing There bei der Ausstellungseröffnung[/Bildunterschrift]

Die Diplomausstellung ist in jedem Jahr ein Höhepunkt der Kunstlandschaft in Dresden. Das altbackene Image, dass die Stadt Dresden in Belangen der Kunst zuweilen nach Außen hin zeigt, ist nicht zuletzt der städtischen Vernachlässigung der zeitgenössischen Kunst zu schulden. Es scheint, als hätte die Förderung von barocken Architekturnachbauten auch im 21. Jahrhundert in Dresden noch immer höhere Priorität. So kommt man nicht umhin zu sagen, dass diese Absolventenausstellung der hiesigen Kunstbildungsstätte HfBK sogar eines der wichtigsten Ereignisse gegenwärtiger Kunst in Dresden darstellt.

AUSSTELLUNGSAUFBAU Nora Herrmanns Kartoffelbreiberg entsteht
[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSAUFBAU Nora Herrmanns Kartoffelbreiberg entsteht[/Bildunterschrift]

Die schönen Künste wurden in Dresden schon immer stark gefördert, nur damals die aktuelle Kunst und heute scheinbar mehr die damalige Kunst. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass trotz eines Baubooms in der Dresdner Innenstadt noch immer kein wirkliches Museum eigens für Gegenwartskunst errichtet wurde.

Die HfBK hat in Dresden eine lange Tradition. Die Dresdner Kunstakademie wurde bereits 1764 gegründet und ist damit eine der ältesten Kunstakademien Deutschlands. Einige in der Kunstgeschichte fest verankerte Maler haben hier studiert und gelehrt. Unter ihnen waren Caspar David Friedrich, Otto Dix, Gottfried Bammes, Oskar Kokoschka, Otto Müller, George Grosz, Conrad Felixmüller und Gerhard Richter.

Die Lehre hat sich in den Jahrhunderten immer der Zeit angepasst. Wo vielleicht früher eine technische Perfektion in der Lasurmalerei gelehrt wurde, wird heute den Studenten eher die Selbstbefragung und Reflexion antrainiert und die Selbstfindung gefördert. Die Schule hat heute hervorragende Voraussetzungen für junge Leute, sich im Laufe von fünf Jahren künstlerisch zu entwickeln – großräumige Ateliers, gut ausgestattete Werkstätten und verschiedene Ausstellungsräume.

AUSSTELLUNGSAUFBAU Tanja Pohl[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSAUFBAU Tanja Pohl[/Bildunterschrift]

Die HfBK Dresden kann stolz darauf sein, noch immer ein festes Grundstudium von den Studenten abzuverlangen, um grundlegende Fertigkeiten zu vermitteln. Das ist schließlich Grundlage dafür, dass der Künstler, in welche Richtung er sich auch entwickeln mag, nicht nur aktuelle, brisante oder neuartige Kunst schaffen kann, sondern dies stets auch qualitativ hochwertig zu realisieren vermag. Denn selbst das beste Konzept nutzt nicht viel, wenn der Erdenker nicht in der Lage ist, es zu formen und zu gestalten, oder zumindest seine Umsetzung zu planen.

Meistens ist es in der Bildenden Kunst auch heute noch wichtig – wie der Name es bereits sagt – ein Bild zu schaffen, sei es nun eine Malerei, eine Skulptur, eine Installation oder eine Videoarbeit. Herangehensweise und praktische Umsetzung wollen also theoretisch und praktisch erlernt werden.

AUSSTELLUNGSAUFBAU Karla Neumeyer
[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSAUFBAU Karla Neumeyer[/Bildunterschrift]

Man hat das Gefühl, dass die freie Kunst, wie die Bildende Kunst heute auch genannt wird, sich in zwei große Lager teilt, zwischen denen es nicht nur in Studentenkreisen zu Missverständnissen kommen kann, sondern auch zwischen Professoren, Kunstwissenschaftlern und Künstlern oder zwischen Kuratoren und Diplomanden. Zur einen Seite scheint es die Künstler zu geben, die sich von erdachten Konzepten leiten lassen und andererseits gibt es die Künstler, die eine intuitivere Herangehensweise pflegen.

Die Konzeptkünstler können natürlich auch Maler sein, die aber trotzdem stark nach Gedankenkonstrukten arbeiten – sie malen was sie wissen. Die Künstler die vorwiegend intuitiv arbeiten, zum Beispiel die Maler, die malen was sie sehen oder fühlen, werden heute leider zu unrecht oft als anachronistisch bezeichnet.

AUSSTELLUNGSAUFBAU Felix Schneeweiß
[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSAUFBAU Felix Schneeweiß[/Bildunterschrift]

So kam es auch bei der Organisation zur Diplomausstellung zu Kommunikationsschwierigkeiten dieser beiden Pole. Die neue Kuratorin der HfBK macht Stippvisiten in den Ateliers der Diplomanden. Auch bei Nadja will sie an diesem Nachmittag vorbeischauen. Nadja teilt sich ein zirka 40 Quadratmeter großes Atelier in der dritten Etage mit einer anderen Diplomandin. Sie malt Bilder mit schwarzer Gouachefarbe auf Leinwand und zeichnet mit Kohle auf Papier. Ihr Thema ist das Porträt.

Ihre Porträts lassen weniger anatomische Besonderheiten erkennen, als vielmehr die psychologische Tiefe der porträtierten Person. Geballte schwarze Flecken die mit Unschärfen, Schärfen, Helligkeit und Dunkelheit spielen. Das rein formale und oft dramatische Erlebnis gerät in Nadjas Bildern zur eigentlichen Bedeutung ihrer Kunst. Ihre Bilder sind Bilder, die sie sich nicht ausdenken kann, sie muss durch intensive formale Bildforschung und -entwicklung darauf kommen.

Ihre Professorin spricht oft von einer Bildintelligenz, die man haben muss um gute Bilder machen zu können. Bei ihr lernt der Student nicht das Malen oder Zeichnen im eigentlichen Sinne – er lernt das Sehen. Es ist eine Art Intelligenz, in der viel Gefühl und Intuition vonnöten ist, die anders gelagert ist als zum Beispiel die, die man für ein rein konzeptuelles Arbeiten braucht und die nicht primär auf Wissen basiert.

Die erste Frage die die Kuratorin an Nadja richtet, ist die Frage nach ihrem Konzept. Nadja antwortet, dass sie Porträts malt und zeichnet. Dass hinter Nadjas Arbeiten kein vorgedachter Leitplan steht, scheint die Kuratorin zu verwirren. Sie versucht erneut durch Fragen einen konzeptuellen Ankerpunkt zu finden. Die Bilder schaut sie dabei kaum an.

AUSSTELLUNGSAUFBAU Nadja Poppe und ihre Hündin Frida bei der Bilderhängung im Senatssaal
[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSAUFBAU Nadja Poppe und ihre Hündin Frida bei der Bilderhängung im Senatssaal[/Bildunterschrift]

Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Di­plomanden gemacht, die sich voll und ganz dem Bilde als etwas selbstverständliches widmen. Einige Tage später erfolgt die Ausstellungsplatzvergabe. Die Diplomausstellung ist in jedem Jahr weitläufig über das Gebäude an der Brühlschen Terrasse verteilt – die Hauptausstellungsräume Oktogon, die beiden Pentagonräume, sowie die alte Bibliothek, wie auch einige Ateliers im Erdgeschoss und der Senatssaal im ersten Obergeschoss. Vierzig Künstler brauchen genügend Platz.

Die Zuteilung erfolgt nach den Ansprüchen, die die einzelnen künstlerischen Positionen mit sich bringen. Dabei gilt es immer einen Raum spannungsvoll zu gestalten – eine Aufgabe des Kurators. Malerei und Skulptur bringen dabei mehr Spannung in den Raum als zum Beispiel zwei ähnliche malerische Positionen. Nadja landet mit ihren Porträtarbeiten im Senatssaal, zusammen mit Klaus, einem Diplomanden aus der Bildhauerei. Dass diese Wahl nicht wirklich optimal getroffen wurde, wird sich später noch herausstellen.

Inzwischen sind die Diplomanden zusätzlich mit der Organisation des Diplomkataloges beschäftigt. Auch Nadja ist im Organisationsteam und sammelt von den Studenten Bildmaterial und Lebensläufe ein. Zusätzlich muss sie ihre eigenen Bilder im hauseigenen Fotostudio fotografieren lassen, um qualitativ hochwertige Reproduktionen für die Abbildung im Katalog zu haben. Andere aus dem Organisationsteam sprechen derweil mit Stiftungen, Mäzenen oder Banken um einen Großteil der Produktionskosten des Kataloges zu erhalten. Auch die Autoren für das Vorwort im Katalog werden kontaktiert.

Wie bereits im Jahr zuvor soll natürlich der Rektor der Schule einen Text verfassen und auch der bei den Studenten beliebte Kunsthistoriker der HfBK wird wieder verpflichtet. Um noch eine weitere Stimme im Katalog zu Wort kommen zu lassen, liebäugeln einige Diplomanden mit einem Text der hauseigenen Professorin für Philosophie mit Spezialgebiet Ästhetik. Grundgedanke war es, eine gegensätzliche Position zu den zwei zu erwarteten wissenschaftlichen und gesellschaftsbezogenen Beiträgen Raum zu geben. Leider kann ein Text der Professorin nicht realisiert werden und stattdessen wird die Kuratorin der Ausstellung ein paar zusätzliche einleitende Worte im Katalog verfassen.

AUSSTELLUNGSANSICHT Im Vordergrund ein Teil von Klaus Beckmanns Installation, im Hintergrund Nadja Poppes Bilder
[Bildunterschrift]AUSSTELLUNGSANSICHT Im Vordergrund ein Teil von Klaus Beckmanns Installation, im Hintergrund Nadja Poppes Bilder[/Bildunterschrift]

Das Studium der Bildenden Kunst ist in Dresden in zwei Segmente geteilt, …

… die Malerei und Grafik im Gebäude auf der Brühlschen Terrasse und die Bildhauerei auf der Pfotenhauerstraße. Wobei es natürlich allerorts Überschneidungen gibt, denn auch auf der Brühlschen Terrasse gibt es eine Bildhauerprofessorin mit einer Fachklasse und auch auf der Pfotenhauerstraße wird gemalt.

Die Lehre umfasst in der Regel ein Grundstudium, dass nach zwei Jahren mit einem Vordiplom beschlossen wird. Anschließend folgt das Hauptstudium in einer der Fachklassen, bei einem der Professoren der Schule. Die Professorenschaft setzt sich aus verschiedenen Künstlern zusammen. Jeder Professor hat sein Spezialgebiet. Es gibt zum Beispiel einen Professor für Malerei/Grafik und andere Medien der Bildpoesie, einen für dreidimensionales Gestalten, einen für analoge und digitale Bildmedien, einen für interdisziplinäre und experimentelle Malerei oder eine Professorin für übergreifendes künstlerisches Arbeiten/Mixed Media.

Dort den richtigen Ansprechpartner für seine eigene Arbeit zu finden, ist oft nicht einfach. Es gibt Studenten, die während des gesamten Hauptstudiums von Professor zu Professor und von Klasse zu Klasse wandern. Nicht selten absolvieren Studenten die Schule verwirrter und desillusionierter als sie mit dem Studium begannen.

Später wird in der Diplomausstellung ein Dokumentarfilm zu sehen sein, der die Lehre an der HfBK zum Thema hat. Die Kommunikationsschwierigkeiten, die zeitweise zwischen den Studierenden und den Professoren auftreten, kommen auch dort zur Sprache. In einer Szene, ein Klassengespräch zu einer hochschul-internen Ausstellung, versucht der Professor einer Studierenden durch Fragen zu ihrem Verhältnis zu den verschiedenen Ismen in der Kunstgeschichte nachzufühlen.

Sie versteht ihn allerdings kaum. Ihr Problem scheint momentan weniger in der Kunstgeschichte zu liegen, als vielmehr am Bild, an der Technik und am rein Formalen des Bildes. Der Professor bemerkt das offensichtlich nicht und geht darauf nicht ein. Die Fragestellungen des Professors lassen die Malerin sichtbar verwirrt zurück.

In einem anschließenden Statement vor der Kamera denkt sie dann sogar über einen Klassenwechsel nach. Das Lernen, sich mit seiner eigenen Kunst in der Öffentlichkeit zu positionieren, ist ein Schwerpunkt der Lehre an einer Kunsthochschule.

Moritz Liebigs Installation zur Diplomausstellung der HfBK Dresden 2010
[Bildunterschrift]Moritz Liebigs Installation zur Diplomausstellung der HfBK Dresden 2010[/Bildunterschrift]

Und auch das ist Bestandteil der Diplomprüfung: die Diplomverteidigung. Ein Studierender erarbeitet und entwickelt über die Jahre des Studiums ein Werk, ein Thema, eine eigene künstlerische Sprache. Meist dient das letzte Studienjahr vor dem Diplom der Entwicklung eines Diplomwerkes. Nicht selten kommt es vor, dass der Kunststudent sein bisheriges Schaffen komplett über Bord wirft und im Diplomjahr etwas völlig anderes macht. Da kann es schon mal passieren, dass der Künstler, der vier oder fünf Jahre gemalt hat, zum Diplom plötzlich eine Installation aufbaut.

Letztendlich wird in diesem einen Jahr die eigene Arbeit so sehr hinterfragt und verdichtet, dass mitunter ganz andere Medien für den eigenen Ausdruck erforderlich werden.

Es ist inzwischen Sommer.

Der Di­plomkatalog ist fertig organisiert und gestaltet. Er befindet sich in der Druckerei in der Herstellung. Die Ausstellungsplätze werden langsam von den Diplomanden bespielt. Rahmen werden geputzt, Bilder gehängt, Installationen installiert, Objekte und Skulpturen aufgestellt.

Das alles geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Professoren. Da müssen oft Prioritäten gesetzt werden. Für den Studenten wichtige Werke, werden dann doch weggelassen, oder unscheinbares wieder hervorgeholt. Wichtig ist nämlich nicht nur die einzelne ausgestellte Arbeit, sondern auch die sogenannte Hängung, die Präsentation der Arbeiten in den Räumen.

Nadja trägt die schweren Bilderrahmen und die großen Leinwände von Wand zu Wand, verstellt sie erneut und prüft minutenlang um sie dann nochmals umherzutragen. Ihre kleine Hündin Frida ist immer mit dabei. Gelangweilt vom großen leeren Raum und Frauchens Tun wälzt sie sich auf dem glatten Parkettboden hin und her.

Einige Tage später hängen dann Nadjas stille und tiefe und in sich ruhende Werke perfekt an zwei Wänden des Senatssaals. Ein großer quadratischer und heller Raum. Andere Diplomanden hätten gern soviel Platz wie Klaus und Nadja in ihrem Raum. Nadja ist trotzdem unzufrieden. Der Nachteil des Raumes beschäftigt sie. Der Raum liegt abgelegen. Leicht können die Besucher der späteren Diplomausstellung den Raum in der zweiten Etage übersehen. Die wegweisende Beschriftung ist oft zu minimal gehalten, kritisiert sie. Nadja denkt sich weitere Wegweiser für das Treppenhaus aus.

Moritz Liebigs Installation zur Diplomausstellung der HfBK Dresden 2010
[Bildunterschrift]Moritz Liebigs Installation zur Diplomausstellung der HfBK Dresden 2010[/Bildunterschrift]

Klaus ist Diplomand von den Bildhauern und bringt täglich unzählige Dinge in den großen sauberen Raum. Glassplitter werden auf das Parkett gekippt, Skulpturen abgestellt, ein altes zerschlissenes Sofa, ein alter Teppich, eine Packung Matjesfiltes und andere Dinge finden sich ein, die sich langsam zu einer vermüllten Ateliersituation anhäufen.

Für Hündin Frida wird der Raum dadurch nur interessanter. Eine alte Filzmatte in Klaus‘ Installation nutz sie genüsslich als Liegeplatz und das aus einer großen Stoffpuppe herausquellende Stroh scheint nicht uninteressanter. Klaus sagt, er wolle »den Raum anwichsen«. Nadja schlägt vor er solle sein Werk mit einem frivolem Wort betiteln, dass würde doch jeden neugierig machen, und das Publikum schon hier in die zweiten Etage treiben. Klaus nannte seine Installation daraufhin Fuck Lounge.

Michiko Nakatani bei der Umsetzung ihrer großen Wandzeichnung
[Bildunterschrift]Michiko Nakatani bei der Umsetzung ihrer großen Wandzeichnung[/Bildunterschrift]

Unten in den Hauptausstellungsräumen, in einem der beiden Pentagone hängen auf verchromten und blankpolierten Kleiderständer sieben schwarze Kleidersäcke, die fast unmerklich den lackierten Aufdruck »Schneeweiß« tragen. Felix schaffte zur Diplomausstellung eine Konzeptarbeit, die sich mit seiner Identität als ständig arbeitender Künstler beschäftigt.

Vor allem bei einem Konzeptkünstler wird der Großteil der Arbeit im Kopf erledigt, und das selten zu festen Arbeitszeiten. Ein Künstler ist schließlich 24 Stunden und sieben Tage in der Woche Künstler. Was dem Betrachter verborgen bleibt sind die sieben schwarzen nagelneuen Anzüge die glattgebügelt in den Kleidersäcken hängen. Jeder einzelne ist exakt in Felix’ Konfektionsgröße. Vor diesem Kleiderständer steht ein weiterer chromglänzender Kleiderständer, der allerdings leer bleibt. Felix möchte damit andeuten, dass die Zukunft des Künstlers offen bleibt.

In einer Kiste neben der Kleiderständerinstallation liegen stapelweise schwarze Karten. Auf der einen Seite steht in weißen Buchstaben auch der Familienname des Künstlers: Schneeweiß. Auf der anderen Seite der Karte steht free entry – Freier Eintritt. Die Karten sind ein Verweis an die Diskokarten, die das Publikum mit freiem Eintritt locken sollen. Später, kurz vor Eröffnung der Ausstellung, will Felix die Karten wahllos um seine Kleiderständerinstallation streuen.

Der Katalog zur Ausstellung
[Bildunterschrift]Der Katalog zur Ausstellung[/Bildunterschrift]

Als vor Ausstellungsbeginn eine Email die Diplomanden erreicht, in der steht, das der Boden der Ausstellungsräume vom Reinigungspersonal geputzt werden soll, befürchtet Felix, dass seine Karten von der Reinigungsaktion in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.

Felix erklärt, es sei ihm nicht so wichtig, dass der Betrachter seiner Arbeit gedanklich hinter das Konzept steigt. Ihm selbst ist es allerdings sehr wichtig, dass alles an seiner Arbeit echt ist und bis ins Innere der Kleidersäcke authentisch. Natürlich hätte Felix die Kleidersäcke leer lassen können. Er meint aber, er würde sich damit selbst betrügen.

Gegenteilig scheint im Vergleich eine andere Konzeptarbeit in einem anderen Ausstellungsraum konzipiert zu sein. Die Diplomandin Nora baut einen mehrere Meter hohen Kartoffelbreikegel. Der Berg besteht allerdings nur äußerlich aus einer Instant-Kartoffelpüreemasse. Dicht unter der Masse befindet sich ein Gerüst aus Dachlatten, bedeckt mit Folie. Dem Kartoffelbreikegel gegenüber schichtet derweil Juliane einen Stapel aus großen Papierbögen akkurat aufeinander. Ihr Diplomwerk wird es sein, während der Ausstellung in einer Performance den gesamten Stapel Blatt für Blatt umzustapeln. 15.000 Blätter sind es etwa, versichert sie – eine Sisyphusarbeit.

Nebenan im kreisrunden Oktogonraum hat Moritz – Diplomand der Bildhauer an der HfBK – seinen Ausstellungsplatz. Moritz ist nicht begeistert von seinem zugewiesenen Stellplatz. Er findet, dass die Arbeiten im Raum zu gleichwertig sind und zu unruhig zusammen wirken. Kritik an der Arbeit der neuen Kuratorin hört man oft in diesen Tagen von den Diplomanden.

FELIX SCHNEEWEISS Ausstellungsansicht
[Bildunterschrift]FELIX SCHNEEWEISS Ausstellungsansicht[/Bildunterschrift]

Moritz stellt eine Installation aus, die aus vielen kleinen und größeren Einzelobjekten besteht. Ein Regal ist gefüllt mit kleinen Skulpturen und Skulpturfragmenten. Er sagt, es handelt sich dabei um seine Skizzen. Oft tauchen diese Skizzen in größeren und komplexeren Arbeiten wieder auf. Die unperfekte Präsentation seiner Skulpturen und Skulpturengruppen ist ihm wichtig.

Seine Wände und Podeste bestehen aus grobverschraubten und ungestrichenen Holzfaserplatten. Er sagt, er finde es »albern« alles schick herauszuputzen und anzumalen, und er fügt hinzu, dass er keine einzelne glatte Arbeit produzieren möchte, sondern vielmehr eine ganze Sammlung zeigen möchte. Moritz ist selbst ein Sammler. Er sammelt ganz verschiedene Dinge, zum Beispiel alte Holzschachteln. Ihn reizt es allerdings nicht, seine gesammelten Dinge einfach nur so zu präsentieren. Der Grund dafür ist, dass er die Dinge aus denen seine Sammlung besteht, nicht selbst gemacht hat, und diese Dinge haben nun einmal nicht wirklich etwas mit seiner Person zu tun.

Ihn treibt es an, seine Sammlung selbst herzustellen. Was der Betrachter von seinen Arbeiten denkt und was dieser in seine Arbeiten hineininterpretiert ist auch ihm egal. Er findet es sogar gut, dass zum Beispiel ein Betrachter in seiner Fischskulptur eine Trophäe oder eine dekorative Tischvase sieht und ein anderer, ein Professor vielleicht, ein großes philosophisches Gleichnis. Dass der Fisch Zitzen hat, und damit die Geschichte von der Gründung der Stadt Rom und die Legende um Romulus und Remus zitiert, bemerkt nur der ganz aufmerksame Betrachter.

Die Diplomausstellungseröffnung ist in jedem Sommer ein großes Ereignis und zieht viele Kunstinteressierte in die Räume auf der Brühlschen Terrasse. In der Woche zuvor sind in anderen Räumen der Schule Werke der Noch-Studierenden zu sehen. Diese Jahresausstellung zeigt einen Querschnitt des Geschaffenen eines fast jeden Studenten in jedem Jahr.

Am Wochenende, an dem die Diplomausstellung eröffnet wird, sind beide Ausstellung gleichzeitig geöffnet. Ein Grund mehr für den großen Besucherstrom. Nadja hat sich mit ein paar Freundinnen in die oberste Etage des Gebäudes zurückgezogen und wirkt kapitulierend.

Die Situation im Senatssaal zur Eröffnung ist der Grund für ihren Missmut. Dort ist es derweil laut. Es wirkt eher wie eine Studentenparty. In Klaus‘ Installation gibt es ohrenbetäubende Tröten, laut rüttelnde Figuren und Musik aus einem Kassettenrecorder. Die Menschen stehen mit Bierflaschen in der Hand sensationslüstern um die Installation.

Nadjas Bilder werden hingegen wenig beachtet. Und selbst denen, die Nadjas Bilder intensiv betrachten wollen, wird der Genuss durch den Trubel und den Lärm im Raum sehr schwer gemacht. Provokante Sensationskunst und sinnliche Bildkunst passen selten so schlecht zusammen. Den Preis für das beste Diplom bekommt in diesem Jahr allerdings kein Konzept- oder Objektkünstler. Eine Studentin aus Nadjas Fachklasse, die ebenfalls sehr sinnliche und intuitive Bildkunst schafft, macht in diesem Jahr das Rennen. [Artikelende][/Artikelende]

von DANNY WINKLER
fotos NADJA POPPE

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