Ray Caesar

Der Schrecken hinter dem Vorhang

Ray Caesars Biografie ist schnell erzählt: Geboren in England, aufgewachsen in ärmlichen und schlechten familiären Bedingungen in Toronto, Kanada. Architekturstudium am Ontario College of Art und anschließend der, wie er sagt, »vom Schicksal erwählte«, Job in der Bild- und Fotografie-Abteilung des Hospital for Sick Children in Toronto.

Nach 17 Jahren wechselt Ray in die TV- und Filmbranche, wo er zum ersten Mal mit digitaler Bildbearbeitungstechnik in Berührung kommt. Heute widmet er seine ganze Arbeitszeit ultra-realistischen Bildwelten, die gänzlich am Computer entstehen und in Kleinstauflagen auch in Galerien, zum Beispiel bei Jonathan LeVine (New York) oder Strychnin (Berlin, New York, London), zu bewundern sind. Diese Fakten allein erzählen allerdings wenig über die dunklen Mysterien, in die Ray Caesars Kunst uns blicken lässt. Im Low-Interview zieht er den Vorhang ein Stück zur Seite…

Interview von CHRISTIAN WOELKI

Return Of The Day • 2009 • digital, Tintenstrahldruck montiert auf Papier unter Plexiglas · 91,4 x 91,4 cm von Ray Caesar
Return Of The Day • 2009 • digital, Tintenstrahldruck montiert auf Papier unter Plexiglas · 91,4 x 91,4 cm von Ray Caesar

Ich würde mich nicht als »echten Künstler« bezeichnen, das ist nur eine Schublade, in die mich andere Leute stecken, die keine Bedeutung in meinem Leben hat. Ich habe schon immer dasselbe getan, mir eine Gelegenheit geschaffen, indem ich durch eine Tür gegangen bin, die zu einem Raum mit weiteren Türen geführt hat. Sich für eine Tür zu entscheiden, heißt sich für Gelegenheiten zu entscheiden. Ich mache Kunst für meine verletzte Seele. Ich erschaffe, weil ich es liebe, und ich erschaffe, was ich selbst sehen möchte.

Als ich ein junger Mann war, hatte ich die Wahl, ein Erschaffer des Lichts zu sein oder ein noch gefährlicheres Monster als mein Vater es gewesen ist. Es gab eine Zeit, als ich elf oder zwölf Jahre alt war, da zog ich mich an wie ein Mädchen und spielte mit Puppen, Messern und Feuer.

Aus einem Überlebensinstinkt heraus habe ich meinen Vater mit dem Messer angegriffen und hasste seither alles Männliche. Ich hasste Männer und alles Männermäßige und ich hasste die Art, wie sie alles nehmen was sie wollen, von allem, das kleiner und schwächer ist als sie, und begann es abzulehnen.

Santa Maria • 2007 • digital, Tintenstrahldruck (gefirnist) auf Holztafel · 86,4 x 86,4 cm von Ray Caesar
Santa Maria • 2007 • digital, Tintenstrahldruck (gefirnist) auf Holztafel · 86,4 x 86,4 cm von Ray Caesar

Ich erinnere mich daran, mit elf Jahren als femme fatale verkleidet vor einem Spiegel zu stehen, mit einer Perücke, in den Kleidern meiner Mutter und Schwester und mit einem sehr scharfen Messer in der Hand. Der kunstvolle, holzumrahmte Spiegel zeigte mir ein Bild, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hat. An diesem Tag habe ich mich entschieden, Bilder von dem zu machen, was ich in dem Spiegel sah, und das war großes Glück für unfreundliche und grausame Männer, denn ich hätte mich auch gänzlich anders entscheiden können….

Ich denke, dass es keinen grausamen Mann in der Welt gibt, der mit mir und meinen Messern hätte in einem Raum sein wollen… oder einem der Jungen/Mädchen/Dinge in meinen Bildern. Das Bildermachen war aber viel einfacher und instinktiv fühlte ich, dass das der bessere Weg war.

Durch die Liebe anderer habe ich gelernt, dass ein Leben mit dem Erschaffen von geliebten Dingen zu verbringen die beste Reaktion auf all den Schmerz, Hass und die Zerstörung in dieser Welt ist. Der Arbeitsprozess vom Entwurf zum fertigen Werk ist dabei so, dass meine Entwurfszeichnungen primitiver und brutaler sind, wenn sie auf die Welt kommen. Sie sind wie das Gesicht, das du morgens im Spiegel siehst, die Haare durcheinander, unrasiert und verkatert.

Auch darin liegt eine Schönheit, aber sie ist noch nicht hübsch, sondern primitiv. Ich denke, die Seele ist genauso, sie ist eine schwarze Leere wenn wir geboren werden. Sie ist hungrig und frisst alles und jeden, wie ein junger Wolf. Jedoch, die Zeit stellt Dinge damit an und so werden sie »vorzeigbarer«.

From Such Foulness of Root Does Sweetness Grow • 2009 • digital, Tintenstrahldruck (gefirnist) auf Holztafel · 50,8 x 63,5 cm von Ray Caesar
From Such Foulness of Root Does Sweetness Grow • 2009 • digital, Tintenstrahldruck (gefirnist) auf Holztafel · 50,8 x 63,5 cm von Ray Caesar

Das morgendliche Gesicht wäscht sich und kämmt seine Haare. Die Seele lernt ihren Appetit zu kontrollieren und wir achten darauf, was wir in diese Leere hineintun, die wir unser »Selbst« nennen. Die Zeichnung zeigt Fortschritte und wird, was sie sein möchte, und alles was wir als Künstler tun können, ist ihr die Haare zu kämmen, sie in schöne Kleider zu stecken und sie mit etwas mehr Anstand zu füttern als einen jungen Wolf.

Die Zeichnung wird »zivilisierter«, aber wenn du tief genug hineinschaust, fühlst und riechst du immer noch ihren Ursprung, so wie man die faulen und stinkenden Ursprünge in den feinsten Parfümen riechen kann. Wenn du jemand, der dir auf der Straße begegnet, in die Augen schaust und du sehen könntest, was sich in dessen Seele verbirgt, ich denke, du wärst geschockt. So viele Schichten verbergen was wir wirklich sind und ich mag es, etwas von diesem Aroma und diesem Duft in meine Arbeit einfließen zu lassen.

Du sagst, dass du Bilder der menschlichen Seele malst. Haben wir uns so weit von unserem inneren Selbst entfernt, dass unsere Geister uns anschauen, als hätten wir den Witz nicht verstanden bzw. als hätten wir keine Ahnung, was hier eigentlich los ist?

Durch viele psychotherapeutische Behandlungsstunden habe ich erkannt, dass das Unterbewusste in der Tat existiert. Ich habe multiple Persönlichkeiten, die in mir wohnen, was ein Überlebensmechanismus war, als ich ein Kind war.

Nicht wirklich praktisch als Erwachsener, aber hier hilft mir die »Kunst« weiter. Ich habe Teile von mir aufgeteilt und kann Wut‚ Angst und Demütigung wie mit einem Schalter ausschalten. Auch das ist ein Überlebensmechanismus. Ich denke, dass wir heutzutage so den Bezug zu unserem Unterbewusstsein verloren haben, dass es uns wie ein Fremder vorkommt. Wir sind es, die den Witz nicht verstanden haben!

Das ist der Grund, warum wir diese schöne kleine Welt einen um den anderen Tag zerstören. Warum wir Berge von chemischen Abfällen in das Wasser, die Luft und die Nahrung kippen, die wir zum Leben brauchen. Warum wir unsere Straßen unsicher machen, warum zwei Drittel der Welt verhungern und der Rest mehr Essen wegwirft, als er am Tag konsumiert. Unsere Spezies begeht langsamen, rituellen Selbstmord – seppuku!

Ecstasy • 2009 • digital, Tintenstrahldruck montiert auf Plexiglas · 121,9 x 61 cm von Ray Caesar
Ecstasy • 2009 • digital, Tintenstrahldruck montiert auf Plexiglas · 121,9 x 61 cm von Ray Caesar

Und während der ganzen Zeit kapieren wir nicht, was wir da tun, wenn wir uns das Messer durch die Eingeweide ziehen. Eigentlich sind wir so eine schöne und wunderbare Spezies, aber ich denke, wir haben aus den Augen verloren, was wir sein könnten und sein sollten. Wir haben eine unglaubliche Menge an Potential und Hoffnung, aber wir können das in uns selbst nicht erkennen. Wir verstehen den Witz einfach nicht! Wir sind so weit von uns entfernt, dass wir nicht erkennen, wie unser Selbst aussieht! Unser Geist ist wie das gefährliche Kind, das ich vor so vielen Jahren war: verwirrt, schockiert, mit einem Messer in der Hand und mit Gedanken, die die Welt erschüttern würden.

Unsere Seelen wachsen und wir merken, dass die Dinge, die wir zu brauchen dachten, die Dinge sind, die uns umbringen. Wir merken, was in unserer Kindheit als Überlebensmechanismus funktioniert hat, ist nicht das, was wir als Erwachsene brauchen. Wir wachsen unter Schmerzen in einer Welt auf, die uns vielleicht gar nicht mehr will, und es wird ganz schön knapp werden, wenn wir das überhaupt überleben.

Kreativität und der Wille sich zu ändern sind die Antwort zu all der blinden Zerstörung. Mach was du liebst und was du selbst in der Welt sehen möchtest. Es kann Kunst sein oder Musik oder eine sichere und liebende Familie. Du kannst kleine und große Dinge erschaffen oder du erschaffst vielleicht etwas, das niemand zuvor gesehen hat. Für mich ist das die Kunst, eine Seele zu erschaffen, und das ist die Kunst, die wir alle jeden Tag vollbringen.

Canvas Story von Ray Caesar zu »Ebb Tide«

www.raycaesar.com