Aaron Horkey

Der ganz normale filigrane Wahnsinn

Er setzt sich im Schneidersitz auf die Veranda und schaut sich um. Hinter ihm ertönen Schritte, erst entfernter, dann immer näher kommend. Es ist sein Vater, er erkennt es am Gang, kann es hören und spüren, sieht dabei vor seinem geistigen Auge, wie er von der Arbeit kommt, sich seine Pfeife aus der guten Stube holt, mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen Richtung Veranda schlendert und sich auf seinen Schaukelstuhl setzt, um entspannt und friedlich Tabakringe in die Luft zu stoßen. Seine Mutter bereitet während dessen das Abendbrot, meist summt sie die Songs aus dem Radio mit.

Die Veranda ist Teil eines Farmerhauses in der entfernten Steppe Minnesotas. Der kleine Junge, gerade einmal 4 Jahre alt, fühlt sich wohl hier, es gibt nicht viel, aber davon genug. Er schaut zu seinem Vater, sieht, dass er Recht hatte mit der Pfeife. Dabei fällt ihm ein Käfer auf, der direkt vor ihm auf dem Boden herumkrabbelt und mühsam versucht, einen viel zu großen Brotkrümel von der Veranda zu rollen. »Was siehst Du?« fragt ihn der Vater interessiert aus dem Hintergrund. Er überlegt – sein Blick auf den Käfer gehaftet. Er versucht in Worte zu fassen, welches Schauspiel sich ihm dort bietet, wie der Käfer sich immer wieder verändert, der Kopf verschwindet und sich in etwas anderes, unbeschreibbares verwandelt. Alles verschwimmt. In diesem Moment bemerkt er, wie sein Vater hinter ihm steht und ihm einen Stift und ein Blatt Papier über die Schulter reicht. »Zeichne es einfach auf, wenn du es mir nicht erklären kannst.«, sagt er und verschwindet im Haus. Der Kleine blickt auf das leere Blatt Papier, auf den Stift und wieder auf’s Papier, vor seinen Augen der Käfer, er hält dieses Bild fest und beginnt zu zeichnen…

 

carlisle hurleant

 

Aaron Horkey, einer der zurzeit angesehensten Posterkünstler Amerikas, der in seiner Filigranität und im Detailreichtum keine Grenzen kennt, wuchs auf einer Farm außerhalb Windoms, Minnesota auf. Tief in der Wildnis von Rural Cottonwood County erforschte der 1978 geborene die Steppen und Höhlen, die es dort zur genüge gab.
Das beste daran, alles was er dort entdeckte, alte Knochen, Pflanzen, Strukturen, Käfer, seltene Vögel, behielt er im Kopf, um es irgendwann einmal zu zeichnen. Das fällt einem auch bei all seinen Arbeiten auf, die bei erster Betrachtung einfach nur genial durchgezeichnet sind.
Aber schon nach einer kurzen Unterhaltung mit Aaron merkt man, daß da viel mehr dahintersteckt, als einfach nur ein aus dem Gedächtnis gezeichnetes Bild.

Seine große Liebe gilt der Historie Minnesotas und der Natur. Bei jeder seiner Skizzen verliert er sich nicht nur im Detail der Zeichnung, sondern auch in der Recherche zu einzelnen Objekten in seinen Werken. Lateinische Namen, stillgelegte Fabriken, er läßt es nicht zu, daß er einfach NUR etwas zeichnet.

Die lateinischen Namen sind weitere Details, die ich während meiner Recherchen mache. Ich finde es gut sie auf die Skizze zu schreiben und gebe sie auch bei jeder Beschreibung zum Bild mit. Und, bevor du fragst, ich habe nicht Latein studiert.

Aaron Horkey hat auch nicht Biologie studiert oder gar wie man denken könnte, Kunst. Nein, es ist immer seine Liebe zu Detail, die ihn dazu antreibt, alles so exakt wie möglich zu machen. Der größte Antrieb und die größte Hilfe waren ihm dabei seine Eltern.

[…] Sie unterstützten und bestärkten mich in meinem Tun (auch heute noch) und das zählt meiner Meinung nach mehr, als irgend etwas, das man jemandem in einem Klassenzimmer beibringen kann. Genau deshalb würde ich auch sagen, daß das, was mich am meisten geprägt hat, mein Umfeld in Minnesota bei meiner Familie war.

self portrait

Auf die Frage nach seinen (seiner Meinung nach) bekanntesten Werken, wird er sehr bescheiden und selbstkritisch:

Ich glaube nicht, daß irgendwelche Arbeiten von mir der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Ich habe einige Logos und T-Shirts gestaltet, die mich wahrscheinlich bis ans Ende meiner Tage verfolgen werden, die meisten meiner „gut ankommenden“ Arbeiten sind totale Scheiße, von denen ich mich, so weit es geht, zu distanzieren versuche. Einige unserer letzten Poster wurden sehr gut aufgenommen, aber in anbetracht dessen, wie extrem limitiert unsere Siebdruckposter sind, würde ich mich hüten, sie „berühmt“ zu nennen.

Naja, wenn er denn meint, drei Poster, die ich mir kaufen wollte (Mogwai , „Over the Atlas“, sunnO))) & Boris), waren innerhalb von 20 Minuten ausverkauft, und daß bei einer Auflage von 260 Stück (sunnO))))!!!

»No More Noir« von Aaron HorkeyDeshalb habe ich auch diesen Artikel über Aaron und explizit über seine beiden Poster Mogwai und „Over the Atlas“ schreiben wollen, da ich mit dem Gedanken gespielt habe, vielleicht einen von beiden Kunstdrucken geschenkt zu bekommen. War wohl nichts.
Aber Scherz beiseite und Tränen weggewischt. Wie und womit zeichnet Aaron Horkey in seinem Studio, hat solch ein Künstler Zeichenwerkzeug, das sich ein normal sterblicher nicht leisten kann und gibt es andere Posterkünstler, die er mag? Die Antwort auf die erste Frage lautet »Nein«! Aaron arbeitet mit normalen Micron- und Druckbleistiften auf einfachem Zeichenpapier. Seine Zeichnungen verfeinert er mit weißem Gouache und schwarzer Acrylfarbe.

Normalerweise arbeite ich mit Acrylfarben, bin aber auch dafür bekannt, die Hintergründe mit Emaille zu bearbeiten. Am liebsten arbeite ich auf vorbehandelten Holzfaserplatten, exotischen Harthölzern (z. B. Amaranth, Bubinga oder Paduak) und auf rostigen Metallteilen.“ Zur zweiten Frage fängt er an begeistert aufzuzählen: „Dan McCarthy ist absolut unglaublich, Jay Ryan und Diana Sudyka von „The Bird Machine“ bringen auch ständig gute Sachen raus, „Little Friends of Printmaking“ sind gut dabei, die freundlichen „Dorks“ von Burlesque („Burlesque of North America“ – Posterkünstler-Zusammenschluß und Siebdruckfirma) sowieso, und dann wären da noch Seldon Hunt, Jacob Bannon, Daniel Danger, Griffin, Zeelot, Moscoso, Pushead, Brian Chippendale etc …

Man sieht, selbst ein Aaron Horkey legt sich in seinem Geschmack nicht auf eine Stilrichtung fest. Wie schon weiter oben angekündigt, dreht sich dieser Artikel explizit um zwei Kunstdrucke von Aaron Horkey. Ich wollte wissen, was hinter seinen Werken steckt, wie er an diese Arbeiten heran gegangen ist und ob er uns einige Interpretations-Ansätze dazu verraten könnte. Deshalb nun ungekürzt und unkommentiert: Aaron Horkey.

Mogwai

mogwai-posterFINAL

 

Die ersten Ideen und Entwürfe zu diesem Bild unterschieden sich drastisch vom fertigen Druck. Das ist nicht unbedingt ungewöhnlich für mich, da mein »Schaffen« immer wieder von Fehlschlägen und Neuversuchen geprägt ist.

An der Komposition eines Bildes schraube ich in einem sehr kleinen Maßstab (manchmal nur 1/8) solange, bis ich damit zufrieden bin. Danach vergrößere ich es mit einem Kopierer um 200 Prozent und fange an die Skizze auszuzeichnen, sowie Details und Strukturen einzufügen. Solange, bis der Entwurf ausreichend ausgearbeitet ist. Ich mag es, mit einem kleinen Entwurf zu arbeiten, da ich meine Aufmerksamkeit aufs Zeichnen lenken kann, ohne mir Gedanken über die strukturelle Ausgeglichenheit machen zu müssen. Die verschiedenen Details und einzelnen Elemente fallen nur so vom Himmel, wenn ich mich endlich für einen Entwurf entschieden habe, so daß das Gerüst schnell fertig gestellt ist.

Vom ersten Entwurf bis zum druckfertigen Produkt brauche ich normalerweise eine Woche. Die meisten meiner Projekte überlappen sich, so daß ich während des Zeichnens der laufenden Arbeit schon wieder mental bei den ersten Ideen und Entwürfe für das nächste Projekt bin.

Die Farbschemas aller meiner Drucke entstehen bei mir während des Zeichnens der einzelnen Folien.
Ich habe immer wieder auf die Möglichkeit gewartet, mehrfarbigen und mehrschichtigen Schnee mit Hilfe verschiedener Schatten aus Silber, weiß und grau darzustellen, dieses Projekt kam mir wie der perfekte Kandidat dafür vor. Ich glaube aber kaum, daß ich diese Szene hätte akkurat umsetzen können, wenn ich nicht in Rural Cottonwood County aufgewachsen wäre. Es war auch hilfreich, daß Wezz (Anm. d. Red.: Freund von Aaron, Burlesque of North America) sich mit der Art und Weise eines Wintersturms auskannte, als es daran ging, die Farben zu mischen und die einzelnen Ebenen für den fallenden Schnee fertig zu machen.

Dieses Gigposter war eines der wenigen, bei denen ich die Band nicht kannte. Die anderen sind „Arcade Fire“ und „The Magnetic Fields“ (von denen hab ich bis jetzt noch nichts gehört).

Anfangs war ich nicht so begeistert ein Plakat für „Mogwai“ zu machen, aber es waren schon wieder ein paar Monate seit dem ersten sunnO))) / boris Tourposter vergangen, und als das Datum für Mogwai näher rückte, wollte ich unbedingt irgendwas machen. Die Idee und das Farbschema kamen wie von Geisterhand, also dachte ich mir, warum nicht? Es kam noch hinzu, daß Aaron Turner (Isis) ein Fan von den Jungs ist – und ich ein großer Fan von Aaron Turner’s Musiklabel Hydra Records und seiner Kunst bin. Ich vertraue seinem Geschmack in jeder Hinsicht, nicht nur musikalisch. Noch mal zu Mogwai, ein Bandmitglied von denen hat mal bei einer Live Performance eines ISIS Songs mitgemacht. Die Live CD kam vor ein paar Jahren raus. Ich kann mich noch erinnern, den Bandnamen in den Songerklärungen gelesen zu haben! Daß Aaron Turner die Jungs unterstützte, blieb dann irgendwie kleben.
Nach der Chicago Show von Mogwai hab ich mir dann doch mal eine SXCD vom kompletten Mogwai Set des Abends besorgt und ich muß sagen, das war echt genial.

Die Interpretationen meiner Sachen überlasse ich normalerweise dem Betrachter, aber ein paar Infos können ja nicht schaden.
Der alte heruntergekommene Pflug ist ein „Juno Listing“ Pflug von den „Case Plow Works“ aus Racine, Wisconsin. Dieses Modell müßte so um 1897 gebaut worden sein. Die Eule ist eine mutierte Form des kleinen Raufußkauz‘, von dem bekannt ist, die kanadische Grenze nach Minnesota zu überqueren, wenn dort seine natürlichen Nahrungsressourcen aufgebraucht sind.

Der Mogwai Gig wurde von Eric Westra gebucht. Der hat auch Wezz den Auftrag für das Poster gegeben. Eric ist einer von denen, die hinter dem Magazin „Ladies and Gentlemen“ stehen (lagmag.com). In der zweiten Ausgabe dieses Magazins erschien auch die Illustration von „Over the Atlas“ das erste Mal als aufklappbares Poster. Das ist mal ein Übergang, was?

Over the Atlas

OverTheAtlasLAGMAGversion

Das Bild von „Over the Atlas“ war ursprünglich eine Skizze, die ich für ein Gemälde ausgearbeitet hatte. 2005 wurde ich von den Leuten von »The Seventh Letter« angesprochen, ob ich nicht etwas für eine Wanderausstellung mit dem Titel »Letters First« machen wolle. Die Idee dahinter: Jeder Künstler der Ausstellung malt einen Buchstaben des Satzes: »The World Famous Seventh Letter Crew«. Jeder Buchstabe sollte auf einer gleichgroßen Leinwand gemalt werden, wenn man sie dann in der Galerie aufhängt, kann man den ganzen Satz lesen. Die Buchstaben wurden von einem der Organisatoren durch Zufall verteilt, ich hab das ‚F‘ bekommen; das war gerade eine der letzten von mir bevorzugten Buchstabenform, mit der ich arbeiten wollte. Anstatt mit einer traditionellen Buchstabenform zu arbeiten, entschied ich mich dann doch lieber, die Buchstaben aus Objekten herauszuarbeiten, da ich die Abstraktion der einfacheren Lösung vorzog.

Also kam ich zur Idee der Vögel auf dem Zweig und begann auf meine übliche Weise die Komposition herauszuarbeiten, bedacht darauf, daß das Bild gut ausbalanciert ist und gleichzeitig noch die Form eines großen ‚F‘ erkennbar bleibt. Danach übertrug ich die Skizze, und die anstrengende Arbeit begann. (Dies war meine erste, und wahrscheinlich auch letzte Arbeit auf Leinwand).

Das Bild bekam ich letztendlich kurz vor der ersten Show in Los Angeles fertig. Wirklich glücklich war ich mit dem Ergebnis nicht, da die Oberflächenstruktur der Leinwand die meisten feinen Details undeutlich machte.
Ich kann mich erinnern, daß ich mich über den fertigen Entwurf ganz schön gefreut habe und dachte, daß es ein wunderbarer Art Print werden könnte, aber ich hab dann erst mal nicht weiter darüber nachgedacht und einfach weitergemalt.
Gar nicht lange nach der Eröffnung der Sonderausstellung fragte mich Wezz, ob ich nicht ein ausklappbares Poster für das »Ladies and Gentlemen« Magazin machen wolle. Wezz und die Herausgeber fanden die Idee gut, gleich nach Veröffentlichung des Magazins dasselbe Bild als Art Print anzubieten.

Ich hatte aber keine Zeit, eine völlig neue Illustration anzufertigen, deshalb entschied ich mich die Skizze vom ‚F‘ zu nehmen und sie einzufärben. Dazu mußte ich einen neuen Rahmen und einen neuen Hintergrund zeichnen, da es dieses Mal kein Querformat werden sollte, sondern zweimal so hoch wie breit.

Als dann alle Elemente soweit fertig waren (Outlines, Highlights, Wolken-seperation, Rahmen usw.) schickte ich alles zu Wezz, der sie dann zusammenschoss. Da das Magazin nur in Schwarz/Weiß/Blau gedruckt wird, brauchten wir uns noch keine Sorgen über das Farbschema für den Kunstdruck machen. Das gab uns ein wenig Zeit.

In der Zwischenzeit mußte ich mir über die verschiedenen Versionen des Kunstdrucks Gedanken machen, da wir uns entschieden hatten, zwei total unterschiedliche Versionen herauszubringen – eine stärker limitierte für die Flatstock-Besucher und für die Leute, die ein Poster-Abonnement bei Burlesque haben und eine Version in einer höhern Auflage zum Verkauf auf unserer Website.

Ich war schon immer von der kurzlebigen Werbung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fasziniert. Jedes Farbschema von „Over the Atlas“ sollte an eine bestimmte Stimmung dieser Zeit erinnern. Die stark limitierte Version sollte ein Chigago‘er Nobel-Bordell mit seiner Deko darstellen – rote Wände, goldenen Möbel usw. Zwar Irgendwie »nobel«, aber im Hintergrund dann wohl doch ziemlich verrucht.

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Die »frontier« (Grenzgebiet „Wilder Westen“) Version hat eine höhere Auflage. Die grundlegenden Denkanstöße waren dabei die damaligen Fahrpläne der Eisenbahnen und die üblichen Bilderrahmen aus Pappe.

Schwarz uns Silber sind mehr praktisch und utilitaristisch zu sehen, wogegen das Burgunder und das Gold der „chase“ Version der versnobten gutbürgerlichen Amerikanischen Oberschicht unmittelbar nach der Industriellen Revolution zuzuschreiben ist.

Die Story hinter diesem Bild überlasse ich wieder dem jeweiligem Betrachter, aber auch hier einige Anmerkungen dazu. Der verlassene Getreideaufzug im Hintergrund ist ein „Appleby“ Aufzug in Sheridan Township, Rural Codington County, South Dakota. Er wurde 1883 von der „Atlas Grain Company“ gebaut und diente den Farmern für 75 Jahre; der letzte Eisenbahnwagon wurde damit 1958 beladen. Die Vögel mit den Helmen im Vordergrund sind ein Paar (w/m) Gürtelfischer (Ceryle alcyon) aus der Familie der Alcedinidae. Das Insekt ist eine Blattlaus aus der großen Familie der Chrysomelidae.

Mario Damian

Aaron Horkey bei Burlesque of North America